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Die Renaissance von Tante Emma

Dorfläden sind mehr als soziale Treffpunkte:
Sie machen unabhängig von großen Lebensmittelketten und sichern Lebensqualität.

Wie Dorfläden verschwanden und wieder auftauchten:

Wären diese VORORT-Neuigkeiten vor zwanzig, dreißig, ja vierzig Jahren erschienen, hätte sich bestimmt so Mancher gefragt, wieso sich der obige Artikel ausgerechnet mit einem Naturkostladen befasst, der auch Produkte aus der Region vertreibt.

Denn genau das war früher vielerorts eine Selbstverständlichkeit mit Namen Tante-Emma- Laden: Solche oft vom Inhaber geführten Lebensmittelgeschäfte mit einer kleinen Verkaufsfläche und einer großen Sortimentbreite waren in Dörfern und Kleinstädten oft mehr als eine reine Einkaufsmöglichkeit: kommunikativer Treffpunkt, Umschlagplatz von Neuigkeiten und Tipps. Ein sympathisches Örtchen eben. Dasselbe galt für Direktvermarkter wie Bäcker oder Metzger.

Doch mittlerweile ist von Tante Emma & Co nicht mehr viel übrig: Seit 1970 ist die Zahl der kleineren, eben oft inhabergeleiteten Geschäfte von 125.000 auf 25.000 gesunken. Parallel zu diesem Einbruch begann Deutschland den Supermarktketten zu verfallen, betört von großen Parkplätzen, noch größeren Sortimenten und relativ niedrigen Preisen. Dieses Streben nach immer mehr Ware für immer weniger Geld führten manche Discountmärkte in den letzten Jahren ad Absurdum: Lebensmittel zu Dumpingpreisen, abgepackte Fleisch- und Backwaren mit bisweilen unbekanntem Herkunftsort inklusive.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung kennen wir alle selbst: Wo es sich rentiert, versorgt heute oft eine einzige Discounterfiliale ein größeres Dorf samt umliegender Orte. Und wenn das direkte Einzugsgebiet kleiner ist als 5.000 Personen, eröffnet erst gar keine Filiale und die betroffenen Ortschaften gehen leer aus. Diese eher zentralisierte Struktur der Lebensmittelversorgung hat ihren Preis, oder besser ihre Entfernung: 444 Millionen Kilometer fuhr Deutschland etwa im Jahr 2002 zum Einkaufen, so hat es das Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung berechnet. Dabei hat sich die für Einkaufsfahrten zurückgelegte Wegstrecke von 1982 auf 2002 verdoppelt. Und übrigens: Weil wir heute nicht mehr einkaufen gehen, sondern einkaufen fahren, bleiben diejenigen auf der Strecke, die nicht mobil sind: Jugendliche, Alte, Bedürftige.


Und selbst den Mobilen dürfte es manchmal lästig werden, für jeden Laib Brot und jede Packung Waschmittel weit zu fahren. Spätestens dann wird wohl so Manchem in einem Anflug von Nostalgie bewusst, wie praktisch doch Tante Emmas Ladengeschäft gewesen sein muss. Und in Anlehnung daran ist es in den letzten Jahren zu einer wahren Renaissance der Dorfläden gekommen, wie die ZEIT in ihrer Ausgabe Nr. 29 vom 15. Juli 2010 berichtet: diesmal allerdings in Form von bürgergeführten Lebensmittel- geschäften. Moderne Tante-Emma-Läden also. 250 Stück sollen es bundesweit bereits sein, pro Jahr kommen rund 20 Geschäfte dazu. In der Regel sind sie in einer Mini-GmbH, einer Genossenschaft oder einem Verein organisiert und haben sich den Vertrieb regionaler Produkte auf die Fahnen geschrieben.

Eiertomaten, Champignons und Schwammerl: Das Sortiment in Dorfläden ist reichhaltiger als man denkt.

So ist es auch in Harthausen bei München, wo der bürgergeführte Dorfladen im alten Feuerwehrhaus ein stolzes Sortiment von 1.200 Artikeln vorweist: Neben einer Wurst- und Käsetheke gibt es eine Auswahl an Brot und Gebäck vom Bäcker aus dem Nachbardorf, Kaffee aus einer kleinen Rösterei, Bio-Eier vom Bauern ums Eck. Zum Verkaufs- schlager im Harthäuser Laden ist das lokale Bauernbrot avanciert, das nur einmal in der Woche erhältlich ist. Ergänzt werden soll das Angebot durch Milch und Joghurt von einer örtlichen Hofmolkerei. Alle diese Produkte sind, wie Geschäftsleiterin Johanna Mayer weiß, günstiger als in einem Tankstellenshop, aber teurer als im Discounter. Normalpreise eben. Und das Konzept geht auf: 150 Kunden schauen täglich vorbei. Besonders freuen sich ältere Dorfbewohner über den Laden vor Ort, vor dessen Eröffnung sie mit dem Linienbus zum Einkaufen fahren mussten. Auch die Ladenbetreiber zeigen sich im ZEIT- Gespräch angesichts schwarzer Zahlen zufrieden.

Ähnlich gut läuft das Dorfladenkonzept im oberbayerischen Windach, seitdem eine Bürgerinitiative mit Unterstützung der Gemeinde ein von der Schließung bedrohtes Lebensmittel- geschäft vor Ort übernommen hat. Der »Schlossmarkt « ist als Genossenschaft aufgestellt und verzeichnet rund 360 Kunden pro Tag. Und die sind die gleichen Zufriedenen wie in Harthausen: Bürgergeführte Dorfläden mit regionalen Produkten und vernünftigen Preisen, moderne Tante Emmas also, scheinen in der Tat eine echte Alternative zum Discounter zu sein. Wahrscheinlich sind sie sogar die bessere Alternative und sichern uns Lebensqualität.

Autor: Felix Bauch

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